Über Michael Kolod

Vroni Schwegler

Professorin für Grundlagen der Gestaltung an der Hochschule Mannheim, bildende Künstlerin, zur Ausstellungseröffnung „1+1=3“ (mit Claudia Himmelreich), Werkbund Frankfurt, 2018

Michael Kolod ist der Großmeister des Umwertens. Er ist ein Alchemist, der aus den entsetzlichsten Baumarktmaterialien die schönsten und poetischsten Objekte formt, indem er sie erhitzt, schmelzen lässt, ausgießt oder eintunkt, oder einfach lose wickelt und an einen Nagel hängt.

Einfach. Von wegen. Einfach sieht es hinterher aus, wenn es fertig ist. Wenn eine Form oder ein Rhythmus gefunden ist, wenn nichts mehr stört.

Vorher ist es eher nichts. Massenware, Rest, auch Müll, eingesammelt, angeschaut und auf seine Eigenschaften untersucht: Was kann das Zeug? Ist es saugfähig oder perlt Feuchtigkeit ab, wie biegsam, wie elastisch, wie tragfähig und wie dehnbar ist es? Ist es transparent oder opak, und wie verhält es sich bei Hitze? All das wird untersucht und dann mit Anderem verbunden, Überflüssiges entfernt. Kolod befragt sein Material und lässt sich von ihm leiten. Er zwingt ihm nichts auf….

 

Mareike Hennig

Leiterin der Kunstsammlung des Frankfurter Goethehauses, anlässlich der Ausstellung „Blickinstrumente“ im Museum Goch, 2009

… Vogelnetze, Schaumstoffrollen, Plastikfolien – auf den ersten Blick sind die Materialien in der Ausstellung „Blickinstrumente“ von Michael Kolod alte Bekannte aus dem Baumarkt, einzusetzen auf Baustellen, im Garten oder in der Küche.

Michael Kolod… nimmt die Materialien, die ihm der Baumarkt bietet, als Ausgangspunkt für Erkundungsreisen in die Fähigkeit des menschlichen Auges, Farben wahrzunehmen – und zwar dort, wo sie „eigentlich“ nicht ist: Farbe schwingt in der Luft, an der Wand, in den Zwischenräumen, ohne direkt gemalt zu sein. Was bei einem Saiteninstrument das Zupfen der Saiten ist, das den Klang erzeugt, ist bei Kolods Arbeiten das farbliche „Anspielen“ des Materials, das den „Farbklang“ erzeugt und die Luft und den Raum farblich auflädt und in Schwingung versetzt. Dass die Materialien, mit denen der Künstler arbeitet, alltäglich sind, ist ein Erkennungszeichen des Frankfurter Künstlers. Ihm geht es in seinen Arbeiten um die verborgenen Qualitäten, die sich erst einem beruhigten, langsamen Sehen und Betrachten erschließen. Was sie zart und kostbar wirken lässt, liegt also nicht in dem im wahrsten Sinne banalen, alltäglichen Ursprungsmaterial, sondern in der Behandlung, die der Künstler ihnen angedeihen lässt. Er würdigt sie, anders als wir es sonst tun, eines zweiten Blickes und entfaltet, oftmals im Wortsinn, ihre verschwiegenen Eigenschaften. Er nimmt sich die Zeit, dem „Wesen“ dieser Gebrauchsmaterialien auf die Spur zu kommen. „Jedes Material – sei es Folie, Schaumstoff oder Papier – hat sein ureigenes Artikulationsrepertoire. Ich kann mit einem Netz etwas machen, was mit keinem anderen Material möglich ist – nämlich eine bestimmte Art von Transparenz erzielen – durch die Kombination von Substanz mit ihren Zwischenräumen“, so Michael Kolod. Neben Schaumstoffspiralen und Folienarbeiten sind in der Gocher Ausstellung im Dachgeschoss des Museums auch eine Vielzahl von Aquarellen zu sehen. Im „schwarzen Kabinett“, dem Graphikkabinett innerhalb der ständigen Sammlung, werden die Papierarbeiten nach und nach „aufgeblättert“, und wie in einem Entwicklungslabor können die Betrachter dem Künstler bei der Arbeit zuschauen und dabei die Entstehung von Formen nachvollziehen.

 

Dr. Rainer Beßling

Eröffnung der Ausstellung „Drei heute – Resonanzen“ im Palais für aktuelle Kunst PAK in Glückstadt, 2016

Was ist ein Bild, fragte sich Michael Kolod und gab die Antwort selbst: Ein Bild ist etwas, das an der Wand hängt.

In Kolods Arbeiten fächern sich Objektassemblagen zu farbigen Gebilden um eine zentrale Achse auf: eine Schnur, die gleichermaßen Aufhängung wie Rückgrat der Wandplastiken ist. Der Schwerkraft gehorchend fällt die Schnur in Richtung Boden. Den Weg der Schnur begleiten verschiedene Formen, die der Künstler nach selbst gesetzten Spielregeln anordnet. Die Materialien sind vergleichsweise geringwertig, Stoffe aus dem Baumarkt, die in der Regel funktional und nicht ästhetisch zum Einsatz kommen. Die Materialwahl spielt eine nicht unerhebliche Rolle: Sie ist ein Bekenntnis zum Einfachen, verweist den Betrachter auf andere Werkeigenschaften als den Oberflächenreiz und destabilisiert stofflich durch die Abwendung von Reinheit, Perfektion und Autonomie eine auf Delikatesse geeichte Erwartung.

 

Jutta Zwischenberger

Kunsthistorikerin, anlässlich der Ausstellung „Netzhaut“ in der Galerie joho, Tübingen 2005

… Michael Kolods Werke sind natur- und menschenkundliche „Seh-Stücke“ – Notationen lebendiger Prozesse – die ihre sanfte Sprache erst im alltäglichen Zusammenleben entfalten. Sie überrumpeln unsere Wahrnehmung nicht, sondern sprechen sie langsam und leise an.

Jede Regung unserer Augen vermögen sie aufzunehmen und lassen sie durch ihr Gewebe fließen. Wie auch jeder Eindruck, den wir in der Netzhaut empfangen, in unseren Körper fließt. Die Werke zeigen nach allen Seiten Durchlässigkeit: atmend, beweglich, sammelnd, bedacht, spürend, hörend. Da, wo sich die Trennung und Entfremdung von Mensch und Gegenstand im Auge aufhebt, entsteht Vertrautheit, eine Art Wärme – nicht physische Ofenwärme, „sondern transzendiert – evolutionäre Wärme“, wie Beuys sagt. Das schöpferische Sehen, das die Werke hervorrufen, ist naturhaft. „Sichtbarkeit ist eine Form des Wachstums“, sagt der Maler, Autor und Kunstkritiker John Berger. „Das Ziel: die Erscheinung eines Dings (sogar eines unbelebten Dings) als Wachstumsstufe zu sehen – oder als Wachstumsstufe, an der es teilhat. Seine Sichtbarkeit zu erkennen, ist eine Art von Blühen.“ Und weiter : „ Wolken sammeln Sichtbarkeit und lösen sie dann in Unsichtbarkeit auf. Alle Erscheinungen haben die Natur von Wolken. Die Hyazinthe wächst in die Sichtbarkeit hinein. Aber ebenso der Granat oder der Saphir.“

Zu diesem Aufgehen des Blickes in der Hyazinthe, im Granat, im Saphir, im frisch gefallenen, weichen Schnee und im getaut- wässrigen Schnee in den Ackermulden auch – dazu verhelfen Michael Kolods Arbeiten auf ihre besondere und alltagsnahe Weise.